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Entstehung und Zukunft der Staaten

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Es begann mit ganz normalen Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn:

Am Anfang standen Überfälle auf benachbarte Familienverbände. Hierbei kam es zu Mord und Totschlag, oft wurden die Gegner aber auch nur beraubt oder versklavt. Den Grund bzw. die moralische Begründung hierzu lieferten in der Regel Nachbarschaftsstreitigkeiten, die oft ganz harmlos begannen. So kennen wir das auch heute. Verursacht wurden diese häufig durch Neid, manchmal aber auch durch Not.

Sehr oft gab es diese Streitigkeiten nicht. So ist das auch archäologisch belegt. Die Stämme und Dörfer existierten in der Vorzeit friedlich nebeneinander. Das war die Regel. Doch wenn es zu Streitigkeiten kam, waren die Folgen manchmal verheerend. Einige dieser Auseinandersetzungen zogen sich sogar über mehrere Generationen hin. Das ist zum Beispiel bis in unsere heutige Zeit hinein in der Kaukasusregion, in Süditalien, in Albanien und auf den Philippinen mit der Tradition der Blutrache nachweisbar. Mit dem Passus "Auge um Auge" wurde das auch in der Bibel verewigt.

Als Folge solcher Auseinandersetzungen entstanden aber auch verschiedene Formen der Ausbeutung und Abhängigkeit. Die Sklaverei ist hierfür typisch. Die Kriegsgefangenen wurden versklavt und mussten als Wiedergutmachung für den Sieger arbeiten. Besser waren in einer vermutlich späteren Phase die eroberten Familien dran, die in Freiheit bleiben durften, aber den Sieger als Entschädigung Waren und Dienstleistungen liefern mussten. Im Gegenzug wurde ihnen aber auch versprochen, dass man sie nicht erneut überfallen werde. Ihnen wurde also Schutz versprochen. Anfangs der Schutz vor Überfällen durch die eigenen Krieger und später auch vor fremden Kriegern.

Die heute als kriminelle Handlung definierte Schutzgelderpressung kann also als die älteste Steuer der Welt bezeichnet werden. Es gibt sie aber nicht nur in der sogenannten Unterwelt, sondern in modifizierter Form auch in anderen Bereichen.

Oft wurden die Güter oder Gelder auch zentral eingetrieben und als Tribute an die Siegermacht bezahlt. Auch das gibt es noch heute. In der jüngeren deutschen Geschichte waren das die Reparationen und Kriegsentschädigungen, die zum Beispiel nach 1918 das Deutsche Reich in Form von 20 Milliarden Goldmark an Frankreich zahlen musste. Umgekehrt hatte Deutschland nach dem Sieg von 1871 rund 1,33 Milliarden preußische Taler aus Frankreich herausgepresst. Und nach 1945 erfolgten die Zahlungen in Form von Demontagen von Industrie- und Verkehrsanlagen. Die letzte große Tributzahlung in Höhe von 15,9 Milliarden US-Dollar musste mit Festlegung durch die UNO der 1991 besiegte Irak bezahlen (selbst die UNO erkennt offensichtlich nicht, dass mit Reparationen allein die kleinen Leute geschädigt werden).

Doch zurück zu den Anfängen: Hierarchien gibt es in jeder Familie, in jedem Team und in jeder Clique. Wir sind nun einmal Herdentiere und überall gibt es deshalb einen Chef (wenn auch oft unbewusst). Alle Stämme und Dörfer wählten ihre Oberhäupter. Wobei die Wahl aber nicht mit unseren heutigen Wahlen zu vergleichen waren. Zu Anführern wurden von ganz allein Menschen mit entsprechenden Führungsqualitäten. Manchmal wurde aber einfach nur gemacht, was der Stärkere sagte. Widerspruch hatte eine schmerzliche Wirkung. Ab und an gab es aber auch Zusammenkünfte von starken Kriegern, die ihren Anführer per Abstimmung wählten. So deuten es zumindest einige Forschungsergebnisse an (Thing, Wahlmonarchie, Stammesgesellschaft und Germanische Stammesverfassung). Verursacht wurden solche Zusammenkünfte vermutlich durch Krisen oder Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Wenn die Welt in Ordnung war, gab es keine Notwendigkeit für die Bildung von Befehlsstrukturen. Die natürlich entstandene Hierarchie reichte.

Auf jedem Fall gab es schon im ersten Krieg der Menschheitsgeschichte Sieger und Verlierer. So ist das bis zum heutigen Tag auch geblieben. Irgendwann folgten daraus die ersten Versklavungen, Knechtschaften und Schutzgelderpressungen. Weil es Geld in unserer Form noch nicht gab, mussten Waren und Dienstleistungen geliefert werden. Die Verlierer standen nun unter dem Schutz fremder Krieger und aus dem Oberhaupt dieser Krieger wurde der erste König. Der erste Staat der Welt war entstanden.

Wann das genau war, ist nicht belegbar. Schließlich war das noch lange vor der Erfindung der ersten Schrift. Man kann auch davon ausgehen, dass der erste Staat noch sehr instabil war und mit Sicherheit nicht lange existiert hat. Außerdem dürfte sich das ganze Geschehen sehr langsam und in kleinen Schritten vollzogen haben, sodass man gar nicht sagen kann, ab wann es sich wirklich um einen richtigen Staat gehandelt hat.

Letztlich haben aber genau diese Prozesse zur Entstehung unserer heutigen Welt geführt. Vermutet wird auch, dass diese Entwicklungen oft durch nomadisch lebende Völker in Gang gesetzt wurden. Aus den Kriegern der Eroberer entstand allmählich der Adel mit dem König an der Spitze. Die Fremdherrschaft war in der Geschichte der Menschheit nicht nur die Regel, sondern überhaupt erst die Voraussetzung zur Entstehung von Staaten. Staatsformen, die allmählich unseren heutigen Demokratien ähnlich wurden, gab es erst viel später. Diese waren oft die Folge von Revolutionen, die bei der Entstehung der Staaten erst nach und nach eine Rolle spielten.

Ob deshalb die ersten Formen der Demokratie in Griechenland entstanden, ist nicht wirklich nachweisbar. Die griechischen Stadtstaaten sind lediglich die ersten, für die es darüber schriftliche Belege gibt. Die Demokratie galt aber dort nur für die freien männlichen Bürger, weder die Frauen noch die in den historischen Überlieferungen als Heloten (Eroberte), Periöken (Herumwohnenden) und Metöken (Fremde) bezeichneten Bewohner durften daran teilnehmen, und am Anfang noch nicht einmal die freien Ruderer der Galeeren (Theten). Mit anderen Worten: Die Nachfahren der bei der Einwanderung der Griechen siegreichen Krieger in das vorher mykenisch geprägte Land wählten auch dort nach traditioneller Sitte ihr Oberhaupt.

Anmerkungen und wissenschaftliche Grundlagen in der hier vorgestellten Theorie der Entstehung von Staaten:

Es handelt sich hier um eine zum Zwecke der guten Verständlichkeit vereinfachte Theorie, in der Kernaspekte betrachtet werden. Komplexe Prozesse mit ihren unendlich vielen Details wurden bewusst auf das Wesentliche vereinfacht.

In wissenschaftlichen Kreisen werden bei der Entstehung der ersten Staaten verschiedene Theorien diskutiert. Die bekanntesten sind die Unterwerfungstheorie, die an die Entstehung von wirtschaftlichen Überschüssen aufbauende marxistische Theorie und die Patriarchaltheorie, nach der sich Familien freiwillig zu Staaten zusammengeschlossen haben sollen.

Die hier vorgestellte Theorie hat viele parallelen zu der Unterwerfungstheorie. Es fließen aber noch zusätzliche Aspekte ein.

Die marxistische Theorie schwächelt hingegen sehr stark, weil sie nur auf produktive Überschüsse und die daraus folgende Entstehung von Klassen infolge unterschiedlicher Verteilung des Vermögens fußt. Die Ursachen der vielen leidigen Kriege und die Entstehung von Kasten und Ständen infolge der Eroberungen finden hierbei kaum Berücksichtigung.

Vergleich der Unterwerfungstheorie mit der Patriarchaltheorie:

Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Theorien besteht darin, dass laut der Unterwerfungstheorie die ersten Staaten mittels Fremdherrschaft und laut der Patriarchaltheorie die ersten Staaten durch freiwillige Familienzusammenschlüsse entstanden sind.

Wenn man diese beiden Theorien mit der heutigen Welt vergleicht, muss man feststellen, dass kaum einer unserer heutigen Staaten durch freiwilligen Zusammenschluss entstanden ist. Das Gegenteil ist stattdessen fast immer der Fall. Und wenn man in der Geschichte zurückblickt, ist zu erkennen, dass weltweit alle mit Staaten vergleichbaren Strukturen erst im Zusammenhang mit Eroberungen und Unterwerfungen entstanden waren. Anstelle freiwilliger Fusionen erleben wir außerdem ständig, dass Staaten zerfallen, sobald die Zentralmacht schwächelt oder verschwindet. Beispiele sind der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens, aber auch die Teilung der Tschechoslowakei, die Abspaltungen von Eritrea, Dschibuti und Südsudan. Aber auch die Gründung vieler Einzelstaaten in Südamerika nach dem Zerfall des spanischen Kolonialreiches und die Entstehung vieler Staaten auf dem Gebiet des zerfallenen Osmanischen Reiches zeigen das. Selbst in Schottland und in Katalonien sind entsprechende Bestrebungen zu beobachten.

Freiwillige Zusammenschlüsse sind dagegen nur sehr selten und besonderen Umständen zu verdanken. Hierzu gehören 1871 die Entstehung des Deutschen Reiches unter der Vorherrschaft Preußens, wofür aber 1866 erst einmal Österreich entmachtet werden musste. Auch die Eingliederung der meisten Bundesstaaten bei der Entstehung der USA können hier als Beispiele genannt werden. Die Umstände waren aber auch hier anders. So wurden 1803 bereits große Teile im Süden und im mittleren Westen von Napoléon Bonaparte abgekauft und andere Bundesstaaten zuvor von Amerikanern besiedelt, die ein Interesse an der Zugehörigkeit zur Zentralmacht hatten. Auch die 1990 erfolgten Wiedervereinigungen von Deutschland und Jemen hatten ähnliche Gründe.

Genauso ist es, wenn man in die Wirtschaft schaut, deren oft global tätigen Konzerne durchaus mit Staaten vergleichbar sind. Hier wird man feststellen, dass freiwillige Fusionen in der Regel nach kurzer Zeit wieder aufgegeben werden. Das zeigen die Beispiele Daimler und Chrysler sowie Adidas und Salomon, um nur einige zu nennen. Die gern als feindliche Übernahmen bezeichneten Firmenaufkäufe sind hingegen deutlich stabiler, wenn sie erfolgreich waren, wie beispielsweise nach 1908 mehrfach durch General Motors geschehen.

Berühmte freiwillige Zusammenschlüsse sind auch die Hanse und die Schweizer Eidgenossenschaft. Doch aus dem lockeren Bündnis der Hanse ist nie ein Staat entstanden. Anders war das in der Schweiz. Demokratisch als auch autokratisch regierte Kleinstaaten hatten sich hier auf politischen und militärischen Druck hin zusammengeschlossen. Dieser Druck hielt Jahrhunderte an und ohne diesen Druck wäre das Bündnis schnell wieder zerfallen. Es dauerte schließlich sehr lange, bis daraus der heute so vorbildlich funktionierende Staat entstanden war.

Nur die Unterwerfungstheorie ist plausibel:

Man kann also annehmen, dass die ersten Staaten eher in der Folge von Eroberungen entstanden sind als durch freiwillige Zusammenschlüsse. Bei der Entstehung der späteren Staaten spielte dann die als Ethnogenese bezeichnete Verschmelzung verschiedener Stämme und Völker eine zunehmend stärker werdende Rolle. Abschluss solcher Entwicklungen sind dann oft das Ende der gesellschaftlichen Trennungen zwischen den Nachfahren der Eroberer (Adel) und den Nachfahren der Eroberten (Volk). So entstanden schließlich die Nationen und ab ca. 1800 europaweit der Nationalismus.

Ein erster Staat modernen Prägung war hingegen die Römische Republik. Zwar entstanden alle Aufzeichnungen über diese Zeit erst deutlich später (zum Teil erst nach Jahrhunderten), doch alles deutet darauf hin, dass die ausgeklügelte römische Verfassung eine Folge von mehreren Revolutionen und Erhebungen war. Diese war anfangs gegen die etruskische Fremdherrschaft gerichtet. Schließlich unterwarfen die Römer aber die Etrusker und am Ende alle Völker der Mittelmeerregion.

Theorie zur Zukunft der Staaten:

In unserer heutigen Zeit ist die Existenz eines lückenlosen Netzes von Staaten durch die immer dichter werdende Besiedlung und die technische Entwicklung zu einer Notwendigkeit geworden. Zur Lösung der die gesamte Menschheit immer stärker betreffenden Probleme, unter denen die Klimaerwärmung nur ein kleiner Teilaspekt ist, wird aber zunehmend eine internationale Zusammenarbeit notwendig. Die Hoheitsrechte der einzelnen Staaten müssen damit einhergehend immer mehr eingeschränkt werden. Die UNO und andere internationale Organisationen sind hier nur ein Anfang.

Der richtige Weg kann nur die Stärkung international geltender Bestimmungen und Gesetze sein. Gleichzeitig sind aber auch mehr demokratische Entscheidungen vor Ort notwendig. Regionale Entscheidungen müssen mehr in die Städte und Kommunen verlagert werden. Staaten werden hierbei notwendigerweise an Bedeutung verlieren. Nur so können die durch die weltweit steigenden Bevölkerungszahlen immer intensiver werdenden Probleme gelöst werden. Es ist eine dumme Naivität zu glauben, dass diese Probleme an den derzeitigen und aus historischer Sicht nur temporär vorhandenen Grenzlinien zu stoppen sind.

Übrigens:

Auch bei den mit uns verwandten Primaten gibt es tödlich endende Nachbarschaftsstreitigkeiten, wie in dem Bericht über den Schimpansenkrieg von Gombe und in der Veröffentlichung des Biologen Simon Koechlin zu lesen ist.


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Nachtrag:

Im 1991 erschienen Buch mit dem Titel "Der Golf - Vom Garten Eden zur Weltkrisenregion" von Gerhard Konzelmann, der als Korrespondent der ARD viele Jahre im Nahen Osten verbrachte, sind in dem Absatz "Die Wiege der Zivilisation" viele der hier vorgestellten Prozesse über die Entstehung von Staaten beschrieben. Insbesondere zählt der Autor hier auch die vielen Eroberungskriege im Zweistromland auf. Interessant ist in dem Buch aber auch die Beschreibung über die Entstehung der sumerischen Keilschrift.

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